Das leidige Vergessen

Menschen mit Dyslexie haben es nicht nur beim Lesen und Schreiben schwer, sondern oftmals sorgen auch andere, zusätzliche Unzulänglichkeiten für Verzweiflungsmomente, die verunsichern und das Selbstwertgefühl schmälern.

Das leidige Vergessen, sich nichts merken können, das tönt krass und doch ist das bei vielen Legasthenikern ein Thema. Etwas auswendig lernen können, das ist kaum möglich, auch mein Fotogedächtnis ist relativ schwach ausgebildet, also hilft mir das da auch nicht. Je mehr ich mir etwas merken will, umso weniger gelingt es mir.

Ein typisches Beispiel: Als ich meinen Mann kennen lernte, sagte er immer „Werchstaben verbuechseln“ für Buchstaben verwechseln. Ich wollte das unbedingt auch sagen können, aber jedes Mal musste ich ihn erneut fragen, wie das heisst. Es dauerte sehr lange, bis ich es endlich auch einfach so sagen konnte.

Eine Zeitlang fuhr ich einmal im Monat von Zürich nach Bern. In etwa hatte ich die Strecke bildlich im Kopf und anhand dieses Bildes rechnete ich mir die Zeit aus, wie lange ich fahren musste mit etwas Zeit-Reserve. Immer wieder war es knapp von der Zeit her, bis ich feststellte, dass in einem Bild ein Stück der Strecke fehlte. Genau das war die fehlende Zeit.

Mein Mann hat verschiedene Arbeitsdienste, denen Nummern zugeteilt sind. Eine der Nummern weiss ich auswändig, nämlich die des Spätdienstes, die anderen muss ich immer wieder, wirklich immer wieder, nachschauen, damit ich weiss, wann er Feierabend hat.

Weil ich eine Chaotin bin, nehme ich häufig Anläufe, um etwas Ordnung zu machen, langsam verleidet das mir, ist sinnlos, in einer Woche sieht es wieder genauso aus und die Sachen, die ich neu platziert habe, finde ich nicht mehr, da ich nicht mehr weiss, wo ich sie versorgt habe. Die Leser werden denken, das kann jedem passieren, aber doch nicht immer wieder! Es macht mich auch wütend, wenn ich etwas suche, von dem ich weiss, dass ich es habe, aber nicht finde.

In die Stadt gehen, das funktioniert nicht ohne einen Plan und irgendeinen optischen Orientierungspunkt, ein Hotel, eine Kreuzung, einfach etwas, das auffällig ist. Namen von Strassen kann ich mir sowieso nicht merken, aber eine Tankstelle oder sonst was Markantes, daran orientiere ich mich dann mit Hilfe einer Karte.

Im Zürcher Hauptbahnhof im Untergrund habe ich Orientierungsprobleme. Da die Umsteigezeit etwas knapp ist, muss ich mir dauernd sagen, so wie der Zug in den Bahnhof einfährt, muss ich zurücklaufen, um zu der Rolltreppe zu kommen, die zum Gleis 53 führt, denn es gibt keinen wirklichen Orientierungspunkt.

Eine paar Tricks habe ich mir schon angeeignet: Termine werden fein säuberlich am Küchenschrank auf einer Monatsliste aufgeführt. Oder eine Haltestelle, die ich nicht kenne, kann ich mir nicht merken, also habe ich sie aufgeschrieben und meistens muss ich mehrmals auf den Notizzettel draufschauen, wie sie heisst.

Wenn mich jemand etwas fragt, ist es gut möglich, dass ich es im Moment nicht weiss, obwohl ich es eigentlich wissen müsste.

In einer Schublade ist das Wissen, aber in welcher ?

Dass sich viele Menschen Namen nicht merken können, ist an sich nichts Ungewöhnliches, aber ich kann mir zum Teil die Gesichter der Menschen nicht merken. Wenn es gut geht, weiss ich zwar, den müsste ich kennen, aber woher, davon habe ich keine Ahnung.

Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, dass ich den Leuten sage, dass sie mir ein Stichwort geben sollen, dann erinnere ich mich besser an sie.

Sehr oft muss mein Mann, wenn mir etwas nicht einfällt, vom Thema her Stichworte bieten. Ist das Richtige dabei, erkenne ich es wieder und kann darauf reagieren. Beim Schreiben macht mir die Satzstellung und das Klein- und Gross Schreiben sehr Mühe. Immer wieder muss ich nachfragen, beim nächsten Mal weiss ich es schon wieder nicht. Ich wollte unbedingt Englisch lernen, kaufte mir extra ein Kinderbuch mit Bildern drin. Ich habe es aufgegeben, eine Seite durchgehen, dann Wiederholungen. Doch der Frust war zu gross, ich konnte mir die Dinge nicht merken. Auch beim Computer geht es lange, bis ich mir mal ein Wort merken kann, braucht es viele, viele Wiederholungen. Wenn es dann mal sitzt, dann sitzt es. Auf dem Desktop habe ich etliche Icons, damit ich meine Daten wieder finde. Ich kann etwas speichern, es erscheint mir ganz logisch, wohin das kommen muss, morgen, wenn ich das Gespeicherte wieder brauche, weiss ich nicht mehr, wo ich es abgelegt habe. Wie verzweifelt ich schon gesucht habe…

Beim Lernen am Computer gibt es auch Probleme. Wenn mir jemand etwas erklären will, kann es passieren, dass ich sagen muss, ich brauche nur auf die Frage eine Antwort, wenn mir dann noch wie und warum erklärt wird, bin ich überfordert, es sind zuviele Zusatzinfos und ich sehe das Wesentliche nicht mehr. Meine Strategie ist dann, dass ich mir Schritt für Schritt aufschreibe, ohne die Zusatzinfos. Das Nachlesen kommt später. Oder ich mache ein print screen, so dass ich das nächste Mal nur die Notiz anschauen muss und dann grad wieder weiss wie es geht. Nur steht der Arbeitsaufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag (Erfolg). Und natürlich ist es sehr frustrierend! Doch jeder Mann, jede Frau mit diesem Problem muss eigene Strategien entwickeln und irgendwie damit zu recht kommen.

   
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